Heimweh nach einem Ort, an dem man nie war.

Ich möchte schreiben. Ich könnte schreiben. Ich habe grade Zeit. Und so viele Ideen. Aber es geht nicht. Mein Kopf will sich einfach nicht einlassen auf diese neuen, wundervollen, noch unfertigen Geschichten, in denen noch so viel möglich ist.

Letztes Jahr, als ich auf einem Hochpunkt an Stress mitten in der Veröffentlichung des zweiten Teils und der Überarbeitung des dritten meines Stern von Erui steckte, da haben sie mich überfallen, die wunderbaren Ideen, meine neuen Gedankenkinder. Am Anfang waren sie nur kleine Plottbunnies, die um mich her hüpfen. Hier ein Pitch für eine Geschichte, da ein Dialog zwischen zwei noch unausgereiften Charakteren.  Einige davon sind in der Versenkung verschwunden, doch anderen haben sich gehalten, sind gewachsen und nun bereit, endlich auf Papier gebannt zu werden.

Aber meine Finger verharren zitternd über den Tasten, wenn ich nur daran denke.

Warum?

Ganz einfach. Ich bin an einem Punkt angekommen, den mancher meiner Kollegen vermutlich kennt. Und wenn man ehrlich ist, kennen ihn auch die Leser. Jeder, der schon mal eine Leseflaute hatte, weiß wie das ist: Nichts kann einen wirklich begeistern, obwohl so viele schöne Titel auf einen warten. So viele Geschichten mit liebenswerten Helden und spannenden Wendungen. Doch nein, man kann nicht. Man will nicht. Nichts ist genug. Nichts ist schön. Alles ist öde und fad und grau.

Ein Gefühl, das alle von uns kennen: Man hat Heimweh. Heimweh nach dieser einen Geschichte, die in der Lage war, einen total in seinen Bann zu ziehen, den Kopf nicht mehr loszulassen und einen in sich hineinzuziehen.

So wie ihr beim Lesen, erleben wir Autoren das auch beim Schreiben. Wir fühlen und fiebern mit. Manchmal werden wir selbst überrascht, wenn unsere Helden unter unseren Fingern plötzlich Worte zu Papier bringen, die wir so nie gedacht, nie für möglich gehalten hätten. Wir sehen aus Gedankenkonstrukten kleine Persönlichkeiten wachsen, mit denen wir lachen und leiden.

Und manchmal hat uns eine dieser Geschichten so fest gepackt, dass wir wirklich Heimweh bekommen, wenn sie vorbei ist. Heimweh nach den Orten, die wir erschaffen haben. Heimweh nach dem Gefühl, wie es war, das erste Mal von diesem Ausblick von jenem Kliff hinab in das verwunschene Tal zu schreiben, oder von dem Streit zweier Freunde, der uns selbst das Herz zerriss, weil alles, was wir vorher schrieben unweigerlich auf diesen Punkt zu lief, aber wir selbst noch gar nicht wissen, wie es enden wird, oder auch jener eine, vielleicht schicksalsträchtige Kuss, ganz still, ganz heimlich.

Wir sehnen uns nach der Geschichte, die wir so vielleicht nie wieder schreiben werden – nein sogar mit Sicherheit nicht! – und fallen damit in ein tiefes Loch, das sich ein wenig nach Liebeskummer anfühlt.

Doch Gott sei Dank ist es mit dem Lesen und dem Schreiben anders als im echten Leben. Man kann sein Herz mehrmals verschenken. Keine unserer geliebten Geschichten wird eifersüchtig sein auf die nächste, die uns zu packen vermag, denn sie wissen, der Tag wird kommen, da werden wir sie wieder aus dem Regal kramen und uns einmal mehr in der Melodie ihrer Zeilen verlieren.

 

Ein schönes Wochenende wünscht euch

 

Eure Sylvia

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