Das Herz des blauen Drachen – Prolog

ACHTUNG! SPOILERGEFAHR für die Sternenlied-Saga.

 

Ich habe euch hier ja schon gezeigt, wie der erste Versuch für das Drachenlied vor 4 Jahren ausgesehen hat. Das hier ist jetzt der neue Anfang. Und mittlerweile weiß ich, dass das Drachenlied auch wieder eine dreiteilige Reihe wird.

Band I – Ein uralter Schwur-

Band II – Der dreizehnte Prinz –

Band III – Zeit und Ewigkeit –

🙂 Ich freu mich schon voll, das zu schreiben und bin wieder total drin in meiner Welt. Und das auch dank eurer vielen tollen Kommentare auf Facebook, die sich so unbedingt neue Erui-Geschichten wünschen.

 

Prolog

Das Mondlicht schien auf ihre schlafende Gestalt. Der zarte Busen hob und senkte sich ganz ruhig. Ihr goldenes Haar umfloss das geliebte und vertraute Gesicht. Er roch ihren Duft und fühlte ihre zarte Haut unter seinen Fingern. Nach all den Sommern war es für ihn noch immer unbegreiflich, dass sie ausgerechnet ihn gewählt hatte. Ihn, der am wenigsten von allen zu ihr passte.

Seine Hände strichen sanft über ihre Wangen und ihren Hals. Er küsste ihre Stirn – vorsichtig, denn er wollte sie nicht wecken.

‚Budum!‘, machte es da mit einem Mal.

Sein eigener Herzschlag, sonst so rhythmisch und regelmäßig wie der ihre, setzte eine Weile aus. Er fasste sich an die Brust, schloss die Augen und versuchte langsam ein- und auszuatmen. – Nur die Ruhe bewahren, dann würde es schon wieder vergehen.

‚Budum!‘ machte es zum zweiten Mal.

Er fühlte wie das Blut in seinen Kopf schoss. Ein Rauschen in seinen Ohren setzte ein. Die warme Haut unter seinen Fingern wurde mit einem Mal kühl und fremd und etwas schien ihre Gestalt zu verschleiern wie Schlieren aus dunstigem Mondlicht oder Schlimmeres.

Er hörte das Vorbeiziehen der Wolken und den fernen Wind vor dem Balkon. Alte Vertraute, Freunde aus einem anderen Leben, die ihn riefen.

‚Budum!‘ machte es zum dritten Mal.

Es würde sich nicht aufhalten lassen. Das wurde ihm nun klar. Egal, mit welchen Mitteln er dagegen ankämpfte. Er würde ihm geben müssen, wonach er verlangte. Vorsichtig, einen letzten Blick auf seine wunderschöne Frau werfend, schälte er sich unter den Decken hervor. Außerhalb des Bettes war es kühl. Das Jahr war noch jung, das Feuerfest noch nicht gefeiert.

‚Feuer kannst du haben‘, hörte er ihn flüstern.

Er seufzte tief. Sah zu ihr zurück, die immer fremder wirkte. „Ich liebe dich, mein Stern“, hauchte er, dann durchschritt er den Vorhang und ging auf den Balkon hinaus.

Der Nachtwind empfing ihn und er breitete die Arme aus, um den alten Freund willkommen zu heißen. Er hatte es versprochen. Und seine Versprechen hatte er bis heute noch immer gehalten, ganz gleich wie unmöglich ihre Erfüllung schien.

‚Budum!‘

Er ließ es einfach zu, spürte das Winden und Zerren und Reißen in sich, wie die Bewegungen einer übergroßen Raupe, die aus ihrem Kokon drängte.

‚Budum, Budum, Budum!‘

Er spannte die Schenkel, sprang auf das Geländer. Seine durchscheinenden Flügel surrten auseinander und hoben ihn hoch in die Luft. Seine Gedanken vermischten sich mit dem tiefen dumpfen Schlag und dem Schmerz und der Stimme, die langsam immer lauter und fordernder und herrisch wurde.

Freiheit! Endlich wieder frei!

Ich kann es riechen, fühlen schon fast. Irgendwo ganz weit fort dringt der Schmerz der anderen Seele in mein Bewusstsein. Doch das ist mir egal. Ich kann auf ihn keine Rücksicht nehmen. Nicht, wenn ich frei sein und leben wollte.

Viel zu lange habe ich darauf verzichtet und viel zu lange hat er mich gebunden und eingesperrt, dazu gezwungen mit ihr das Bett zu teilen. Mit ihr, einer Schleierschwester! In ihren Armen hat er gelegen Nacht für Nacht, und damit auch ich.

Weiß er nicht, was er mir damit antut?

Meine Flügelspitzen spannen sich. Eine Wolke schiebt sich vor die Mondsichel. Verdeckt sie für einen Augenblick und alles fühlt sich wieder so an wie damals. Damals, als ich geboren wurde.

An den Augenblick erinnere ich mich noch genau. Dunkel war es gewesen. Blau in blau und nochmals blau um mich herum. Die Nacht vor dem Erwachen hatte ewig gewährt und ewig war auch ich.

Ich fühlte es, so wie ich es jetzt fühle, das Entfalten meines Geistes, der immer dagewesen war, sich doch nicht seiner selbst bewusst. Damals weit fort, als ich diesen Laut vernahm und diesen Gedanken spürte, als der Traum mich gebar. Mich und die ganze Welt um mich herum, da hat es sich genau so angefühlt.

Dann war es dunkel geworden an einem Morgen; dunkler als ich es jemals vernommen hatte. Und lange hatte es gedauert, bis ich diesen Augenblick des Erwachens wieder erleben durfte.

Jedes Mal aufs Neue war es die Nacht, die mich umspannte, aber gleichzeitig war ich die ganze Nacht. Sie überzog Stück für Stück mein neu erkanntes Selbst, umfloss mich, wob mich ein, gab mir Flügel. Sie nahm mich gefangen und gab mich doch im gleichen Moment wieder frei.

Thor’allion An Deterin Ad Aran, hörte ich es über all um mich ertönen.

Schwingen, die die Mitternacht geboren hat.

Das war ich. Das bin ich. Bis heute. Viele Male hat mein Herz seitdem die Enge dieses Kerker gefühlt. Viele Male seit jenem einen Tag, der alles veränderte. Wie viele Jahre, Jahrtausende musste ich schweigen, nicht wissend wer ich war, was ich war, ob ich denn überhaupt noch war?!

Schwächliche Körper und noch schwächere Seelen, sich meiner kaum oder gar nicht erst bewusst, sie trugen mich, seit dem Tag, als er versagt hatte.

Doch wie kann ich jenem heute noch zürnen? Wie kann ich böse sein dem, der meine Schuld und mein Versprechen auf sich lud und es bewahrte und weitergab, an den, der mich heute in sich trägt?

Er, der eine König, geboren von altem und von neuem Blute, einzig und allein würdig, mein Herz und die Bruchstücke meines Geistes bis in alle Ewigkeit zu tragen.

Jetzt spüre ich, wie seine Seele in mir sich zurückzieht. Einmal mehr hat er seine Flügel gegen meine getauscht. Entlässt mich erneut in die Nacht, so wie es ausgemacht und versprochen war. Dabei, wenn ich ehrlich bin, bin ich doch nur noch ein kleiner Teil von ihm. Doch er ist stärker als seine Vorfahren waren; stärker als alle Könige, über die ich in all den Jahrhunderten wachte und richtete.

Freude steigt in mir auf bei diesem Gedanken. Freude und gleichzeitig unbändiger Zorn. Ich fliege hoch und immer höher, den Wolken entgegen, durch sie hindurch, spüre, wie ihr Dunst meine kobaltblauen Schuppen benetzt, fühle den Wind und breche dann durch die Decke hindurch ins gleißende Mondlicht und zu den Sternen. Das Gold der Strahlen auf meiner Drachenhaut erinnert mich an das Gold der Schuppen meines Bruder. Mein Bruder!

Bruder Teijun! Ich weiß, du wartest. Ich weiß, du sehnst dich nach mir. Ich weiß, ich war viel zu lange fort. Ich komme! Ich bin auf dem Weg. Ich werde bei dir bleiben, so lange er mich lässt.

Feurig ergießt sich mein wiedergewonnener Atem auf die Wolken um mich herum. Manche sind nicht stark genug und verwandeln sich in Dampf und kondensieren zu neuen Wolken. Sie mischen sich mit Asche und mit Zorn … Drachenzorn.

‚Budum!‘, höre ich mein Herz schlagen. ‚Budum!‘ – wie eine Trommel. ‚Budum! Budum! Budum!‘

aus „Das Herz des blauen Drachen -Ein uralter Schwur-„, von Sylvia Rieß, 2016

Artikelbild copyright by Thira F. Bauer, 2016

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