Fantasy, das verkannte Genre – oder warum nur Träumer und Fantasten die Welt retten können.

„Fantasy als Einstiegs Genre ist ja einfach.“ „Da muss ja nicht so viel recherchiert werden.“ „Man denkt sich das ja eh nur alles aus.“ „Das ist ja auch eher was für Leute, die gerne was Leichtes lesen.“ „Ist nicht mein Genre, ich lese lieber was Anspruchsvolleres.“

IMMER WIEDER! Egal ob Leser oder Autor in diesem Genre, immer wieder muss man sich das anhören. Und es scheint ja auch was dran zu sein. Aus den Buchläden, Bibliotheken und Kinos ist Fantasy als Kassenschlager und Gelddruckmaschine nicht mehr wegzudenken. Es ist längst weltweit massentauglich. Aber anspruchsvoll?

Zwei Hobbits, die einen Ring in einen feurigen Berg warfen, konnten Milliarden begeistern und zu Tränen rühren. Doch offensichtlich wird es nur als Popcorn-Kino abgestempelt. Nichts Großes, Reales. Nichts mit Tiefgang.

“Many that live deserve death. And some that die deserve life. Can you give it to them? Then do not be too eager to deal out death in judgement.”

aus The Lord of the Rings von J.R,R.Tolkien

 

Übersetzt heißt es: „Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann urteile nicht zu vorschnell.“

Nein, aus solchen Weisheiten kann der Leser oder Kinobesucher offensichtlich nichts mitnehmen, und da die Gestalten, ohnehin alle erfunden und zu schwarz/weiß dargestellt sind, spiegelt es auch nichts wider, was uns tagtäglich berührt.

Auch die Tatsache, dass die Fantasy nicht in dem Maß auf der Frankfurter Buchmesse vertreten ist, sich absondert auf der viel kleineren BuCon im beschaulichen Sprendlingen, scheint die These zu untermauern, dass Fantasy Literatur zweiter Klasse ist.

Ich aber möchte behaupten: Das ist schlichtweg falsch.

Phantastik, zu modern Fantasy (wobei die Begriffe sehr viel dezidierter verwendet werden können, aber das würde hier den Rahmen sprengen), hat die Menschen schon immer fasziniert, schon immer berührt. In abstrakten Geschichten, Sagen, Mythen, Märchen sie selbst wiederfinden, die Natur der Menschheit und der Dinge um einen durch dieses verschleierte Gesicht erkennen und eine tiefere Botschaft vermittelt bekommen, das ist etwas, was uns Menschen ausmacht. Nur wir können das. Nur uns ist es zu eigen, subtile Weisheiten und Wahrheiten zu erkennen.

Die Frage nachdem Kern, aus dem wir gemacht sind, die Suche nach der Seele, gut oder böse, das ist kein Randphänomen. Schon Goethe hat seinen Doktor Faust erkennen lassen, dass wir Menschen beides in uns tragen. Doch hat er das Rad damit nicht neu erfunden. Es ist die Frage, die Philosophen seit dem Altertum beschäftigt.

Aber ich will Fantasy nicht glorifizieren. Denn natürlich: Sie kann seicht sein. Schönheiten haben sich in der aktuellen Romantasy schon in alles und jeden verliebt und geküsst, was das Horror- und Märchengenre so hergibt. Vom blondgelockten Elfenprinzen bis hin zum modernden, stinkenden Zombie. Dass manche darin ihre Erfüllung finden, Flucht vor dem Alltag, Entspannung und Ablenkung, ist ebenso legitim wie sich mit historischen Romanen zu Grafen und Herzögen der vergangenen Jahrhunderte zu träumen.

Fantasy ist aber nicht auf Liebesgeschichten begrenzt, wie zeitgenössische Literatur auch nicht. Fantasy kann viel mehr.

Mit Tolkiens ‚Herr der Ringe‘ lernten wir, dass selbst der Geringste zu Großem fähig sein kann. Als Kinder haben uns Astrid Lindgrens ‚Brüder Löwenherz‘ das Sterben näher gebracht, die Angst vor dem Tod genommen und gezeigt, was Aufopfern für andere bedeuten kann. Ihre Ronja Räubertochter zeigte uns, dass man nicht zwingend in die Fußstapfen der eigenen Eltern treten muss und es manchmal nur eines beherzten Sprunges bedarf, eine unüberwindliche Grenze zu überkommen. Marion Zimmer-Bradleys ‚Nebel von Avalon‘ stehen wie kein anderes Werk für die Emanzipation, als sie aus der bösen Hexe der Artuslegende eine weise, spirituelle Führerin machte.

Und da Lesen erleben ist, gelesen Gefühle so viel wert sind, wie real erlebte, können auch die Menschen, die Fantasy lesen, während des Abtauchens in jene unrealistischen Phantasie-Welten zu Helden werden und in ihren Herzen wachsen. Öfter als jeder andere stellen sie sich dem Kampf gegen das Böse, der Frage nach dem, was wir sein mögen, der Suche nach einem Sinn.

Wer nun also weiterhin behauptet, Fantasyleser seien doch alle weltfremde Spinner, Fantasten, Cosplayer und Nerds, dem kann ich nu sagen: Ja, möglich.

Doch wer, wenn nicht jene, die mit Atreju auf Fuchurs Rücken durch Fantasien flogen, die für Narnia oder Erui zu den Waffen greifen und die Saurons Ring im Berg des Schicksals versenken würden, wer, wenn nicht wir, die Fantasy-Leser und -autoren, könnte besser diese Welt retten?

Wir wissen, sie ist nicht schwarz und weiß, weil wir den Kampf einhundertausend Male gekämpft haben und den Weg jedes Mal gingen, der aus einem einfachen Menschen einen Helden machte. Wir wissen, die Welt ist nicht fair und nicht gerecht, außer dort, wo wir für unsere Nächsten einstehen.

Fantasy ist kein einfaches Genre. Fantasy nimmt einen mit, berührt, zerrt an der eigenen Seele. Von den goldensten Höhen, die menschlicher Geist erdenken kann, bis zu den tiefsten Abgründen kann man dort alles finden. Darum sage ich:

Fantasy ist Weltliteratur.

One comment

  1. Wunderschön geschrieben. Manchmal kann es helfen, auf diese Weise auf Abstand zu seinem Leben zu gehen, und auf vielleicht etwas vereinfachende Weise einen neuen Blick auf seine Alltagssituation zu bekommen. Ich denke, dass auch Fantasyautoren (und allgemein Künstler), genauso wie Ärzte und Ingenieure für eine heilere Welt kämpfen. Die Schamanen und Geschichtenerzähler waren früher wichtige geistige Führer ihres Stammes.

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