Deleted Scenes – Ein Sturm zieht auf

Manche haben sich vielleicht gefragt: Wie ist das eigentlich weitergegangen? Also jetzt nach diesem unerwarteten ersten Kuss? Fenia und Martin ein Paar? Und was war mit diesem seltsamen Nebel?

Wohin das alles führte, das habe ich in Heimkehr ja geschrieben. Doch gibt es da wirklich so viel mehr. Im Prinzip all die Tage, die zwischen den Zeitsprüngen liegen. Aber wie hat eine liebe Kollegin neulich geschrieben? Kill your Darlings! – Verliere dich nicht in Belanglosigkeiten!

Für die Handlung war es nicht wichtig. Aber jetzt, jetzt kennt ihr die Geschichte und ich lass euch gern noch einmal zurückkehren zu der Nacht und dem Mond und dem unverhofften Kuss, um vielleicht zu sehen, was ihr beim ersten Lesen gar nicht sehen konntet. 😉

Zwei Herzen – Augen eines Sturms, der im Aufziehen begriffen war.

Fahndungsbild Fenia     Fahndungsbild Martin

 

Sein Herz zitterte, als seine Lippen ihre berührten. Alles in ihm schien in Aufruhr zu geraten. Es war wie ein Sturm, der durch sein Inneres fegte, während er gleichzeitig nach außen eine Ruhe spürte, wie sie ihn noch nie umfangen hatte. Alles war gut. Hier und jetzt. Er hielt sie in den Armen und nichts anderes zählte als das. Er spürte, dass es auch für sie befremdlich war, doch sie ließ sich ganz und gar darauf ein.

Zwei bebende Herzen, Augen eines Sturms, von dem sie nicht ahnten, dass er im Aufziehen begriffen war.

Nach einer Weile löste er sich vorsichtig von ihr. Er sah sie an und lächelte, bemerkte aber, dass ihr Blick schon wieder an ihm vorbei in die Ferne wanderte. Er drehte sich um und sah nur den Himmel und den vollen Mond daran. „Ich kann nicht mit euch gehen“, hörte er sie flüstern und begriff, was los war. „Fenia“, sagte er energisch, doch nicht zu laut, auch wenn alles in ihm schrie. Er hätte sie am liebsten fest an den Schultern gerüttelt, angeschrien, ihn anzusehen, sich nicht auf die einzulassen.

„Fenni, hey bitte. Sieh mich an“, forderte er noch einmal und legte ihr eine Hand an die Wange, die im Mondlicht fast silbern glitzerte. Für einen winzigen Augenblick glaubte er dabei wie durch einen feinen Schleier zu greifen, bevor seine Haut ihre berührte. Dann aber schüttelte er den Kopf. Das war Blödsinn. Hier war nichts weiter zwischen ihr und ihm. Nicht jetzt; nicht in dieser Nacht. Und wenn es nach ihm ginge, dann würde da auch nie wieder etwas sein.

„Ich glaube“, gestand er ihr schließlich, selbst kein wenig überrascht von seinen Worten, „Ich glaube, ich habe mich zum allerersten Mal verliebt.“ … Und ich hoffe, es wird ewig halten.

Auf diese Worte hin zuckte es kurz in Fenias Augen und sie sah wieder zu ihm. Ein kurzes Lächeln, flüchtig wie ein Wolkenschatten vor dem hellen Vollmond, huschte über ihre Lippen. Dann wurde ihr Blick wieder glasig.

Martin verstand, dass sie noch mehr sah als nur ihn, mehr hörte als allein seine Stimme. Er schloss die Augen, zog sie fester an sich. Er lauschte, ob auch er die klare, fordernde Stimme erneut vernehmen konnte, doch bließ ihm nur ein rauer Wind aus Richtung des Waldes ins Gesicht.

Sie will nicht, dass ich mich einmische, verstand er.

Sie wird ihren Willen bekommen. Wieder einmal. Sie fordert alles. Erneut. Immer fordert sie alles. Dieser zweite Gedanke kam so plötzlich wie ungebeten. Er war einfach da. Eine klaffende Wunde schwärender Gewissheit, dass es keinen Ausweg geben würde. Doch wusste er nicht, woher um alles in der Welt, er das wissen konnte. Sein Geist malte ihm erneut das unheimliche Bild jener Frau in den langen Gewändern ins Gedächtnis, wie sie über dem Nebel des Sees geschwebt war, unwirklich und substanzlos. Aber etwas in ihm wusste es besser. Sie hatte die Macht alles zu ändern, wüde nicht Ruhe geben, und sie forderte erneut einen Preis.

Er schüttelte den Kopf. Alles fühlte sich auf einmal taub und benommen und vernebelt an. Wieder diese Schleier, die sich auf seine Hände legten, die Fenia von ihm trennen wollten. Mehr Wind kam auf. Mehr Wolken schoben sich vor den Mond. Er spürte sie zittern und auch sich selbst.

„Komm weg hier“, flüsterte er, dabei wollte er es zornig schreien.

Überhaupt spürte er brodelnde Wut in sich. Er war hier mit ihr. Alles war gut. Endlich. Zum ersten Mal. Er liebte sie. Nein, es war nicht zu früh das zu denken. Er liebte sie, ganz gleich, was noch kommen würde. So wie sie war, weil sie ihn annahm, so wie er war. Er sah zu ihr und blickte immer noch in glasige Augen. Halb gefangen in Atemlosigkeit, halb in Angst.

„Ich bring dich hier weg“, sagte er entschlossen und sah zu der Wolkenwand, die über dem Wald aufzog wie ein drohendes Omen. „Du darfst nicht hierbleiben und du darfst nie wieder in die Nähe dieser Lichtung gehen.“

Fenia hörte seine Worte kaum, schmeckte immer noch die ungewohnt süße Berührung seiner Lippen auf ihren. Doch sie hörte auch die Stimmen, die riefen und flehten. Ihr Kopf drehte sich. Sie fühlte sich benommen. Martins Hände hielten sie, aber sie war sich nicht sicher, ob das nicht gleichzeitig alle Kraft aus ihr saugte.

Blödsinn, ermahnte sie sich zur Vernunft zu kommen. Doch das Schwindelgefühl wurde nicht besser. Als sie schließlich das Haus erreichten war sie leichenblass und kaum noch in der Lage selbst auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Joe wartete bereits im einsetzenden Regen vor der Tür. Er sagte nichts. Nur Sorge lag in seinem Blick. Sorge und etwas, dass weder Fenia noch Martin bemerkten, und selbst wenn, hätten sie es vermutlich nicht einordnen können.

Martin brachte sie ins Haus. Mit ein paar knappen Worten erklärte er den anderen, dass Fenia wohl unter den Folgen ihrer Gehirnerschütterung litt und er sie nach Hause fahren würde. Ihre Gesichter schwankten alle zwischen Erstaunen, Entsetzen und Ratlosigkeit, doch kam keine Widerrede.

Martin griff nach seiner Jacke, in der er den Schlüssel für sein Mottorrad hatte. Er legte sie um Fenias Schultern und noch bevor irgendwer die Situation kommentieren konnte, waren sie auch schon wieder vor der Tür. Der Wind frischte weiter auf und es war klar, dass das Wetter nicht mehr lange halten würde. Aber es war nicht weit bis zu Fenias Elternhaus.

Als der Regen schließlich einsetzte, hatte Martin Fenia schon zu Hause abgeliefert. Ihre sehr besorgte Mutter hatte die neben sich stehende Tochter in Empfang genommen. Martin hatte in Fenias Blick lesen können, dass die Stimmen sie immer noch erreichten; sie immer noch quälten und nicht losließen. Er hatte den dringenden Wunsch verspürt, Frau Edani zu sagen, wie wichtig es war, dass sie ihre Tochter heute Nacht nicht mehr aus dem Haus ließ. Überhaupt in keiner Nacht. Doch wer war er schon, dass er sowas hätte bringen können?

Er hatte sich kaum gewagt mit Namen vorzustellen, denn was konte Fenia daheim schon über ihn erzählt haben? Außerdem war Frau Edani gewiss nicht die Sorte Mutter, die ihre verwirrte und offensichtlich benommene Tochter aus den Augen lassen würde, wenn sie ihr so mitten in der Nacht gebracht wurde.

Für einen Moment musterten die braunen Augen Martin auch und ihr Blick war nicht weniger eindringlich als der blaugrüngraue ihrer Tochter. Er musste schlucken, und als sie ihn zuletzt gefragt hatte, wer er überhaupt sei, hatte er nur gelogen: ein Freund.

Jetzt raste er in strömendem Regen die nassen Feldwege entlang. Dann bog er scharf in den Wald ab. Nein, er hatte nicht vor, zu Nina und den anderen zurückzufahren. Zumindest nicht sofort. Er wusste, dieses Unwetter hier war kein gewöhnliches. Nicht die Gewalten der Natur waren dafür verantwortlich, sondern sie; einzig und allein sie: die Frau im Nebel, die ihn und Fenia zu trennen gedachte, jetzt, wo sie sich gerde erst gefunden hatten.

Er fuhr schneller als er sollte auf dem rutschigen Untergrund und kam mehr als einmal ins Schlingern. Aber das störte ihn nicht. Die zwanzig Minuten, die er brauchte um die kleine Waldlichtung zu erreichen kamen ihm dennoch wie eine Ewigkeit vor. Er ließ sein Motorrad so achtlos in den regenanssen Boden vor dem schmalen Durchgang durch die Brombeeren fallen, wie vor drei Wochen erst, als er Fenias Schrei dahinter vernommen hatte. Er spürte wie auch an diesem Tag, dass etwas nicht stimmte. Diese fremde Präsenz, sie erfüllte die Lichtung und seine Gedanken und sie hieß ihn fortzugheen. Aber er dachte ja nicht im Traum daran.

Auf der Lichtung selbst war nichts. Nichts außer dem kleinen See und dem Felsen und dem Regen, der durch die dicht belaubten Blätter der Äste ringsum fiel. Martin ging zum Rand des Gewässers. Er fixierte die Stelle, an der er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er wollte sie beinahe heraufbeschwören, nur um es ihr ins Gesicht schreien zu können.

„Du kriegst sie nicht!“, rief er schließlich, wutentbrannt, ohne ganz zu verstehen, woher diese ganze Wut kam. „Du kriegst sie nicht, den sie gehört dir nicht!“

Ein Blitz zuckte über den Himmel, ein krachender Donner folgte wie als Warnung. Martin fühlte sich dadurch erst recht provoziert. Er watete in das Wasser, bis es ihm bis über die Knie ging. Wütend schlugen seine Fäuste auf die augepeitschten Wellen ein. Er glaube, einen schwachen grauen Schein vor sich über dem Basaltbrocken erkennen zu können.

„Lass sie in Ruhe! Lass sie ein für alle Mal in Ruhe. Sie ist ein Mensch. WIR sind nur Menschen. Wir haben mit euresgleichen nichts zu schaffen. Also bleib fern von ihr!“

Wieder ein Leuchten, dass den Himmel über ihm erhellte. Wieder Donnerkrachen. Die Folge von Licht und Lärm wurde immer schneller. Martin überkam das ungewöhnliche Verlangen nun hoch oben selbst zwischen den Wolken zu sein und Blitz und Donner aus nächster Nähe zuzusehen, wie sie wütend auf die Erde einschlugen. Aber der Gedanke war so absurd wie die Tatsache, dass er hier war.

Nach einer Weile, die er weiterhin gegen die Naturgwalten angeschrien hatte wie ein Wahnsinniger, kam er schließlich wieder zu sich. Der Regen ließ nach. Der Sturm zog weiter. Die Wut in ihm legte sich ein bisschen. Die Angst nicht. Angst nicht vor der Frau, sondern davor, was er in Fenias Augen gesehen hatte, was in ihrer Stimme mitgeklungen war vor Tagen.

Bist du denn gar nicht neugierig?“

Nein, er war nicht neugierig. Nicht darauf. Nicht so. Er wusste, es zog sie an und würde sie weiterhin anziehen und sie würde nicht locker lassen, sie zu rufen. Auf dem Rückweg zu den anderen dachte er noch einmal darüber nach, ob er nicht doch mit Joe sprechen sollte. Er war Fenias bester Freund. Ihm war sicherlich ebenfalls daran gelegen, ihr zu helfen.

Allerdings verwarf er den Gedanken so schnell wieder wie er aufgekommmen war. Joe und die anderen mussten jetzt erstmal die neue Situation verstehen. Das war das Allerwichtigste. Und es würde noch schwierig genug werden. Er grübelte lange darüber, was er ihnen sagen sollte. Als er aber schließlich am Hof von Ninas Eltern ankam, hatte der Sturm sich bereits verzogen und auch alle Worte mit denen er hätte erklären können, was los war.

Stumm nahm er das Handtuch an, dass Nina ihm reichte. Stumm ertrug er auch ihre frgenden Blicke. Nur die von Joe waren nicht fragend. Sie waren bohrend, anklagend fast. Er verstand nicht wieso.

„Geht es ihr gut?“, fragte Joe schließlich, als sie sich auf dem Heuboden der Scheune in die Schlafsäcke wickelten.

Martin hatte sich bewusst weit von den anderen weg gelegt, damit Lena nicht weiterhin irgendwelche Annäherungsversuche starten konnte. Seine Gedanken waren bei Fenia. Bei ihrem Kuss. Bei all dem Neuen und all dem Fremden, was plötzlich über ihm hereinbrach. Dennoch musste er lächeln.

„Keine Sorge, Joe“ murmelte er, bevor er einschlief, „für heute Nacht ist alles okay. Aber ich pass in Zukunft besser auf sie auf. Ich versprech’s.“

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert