Hier habe ich ein kleine Episode für euch aus der Zeit, die Fenia als vermeintlicher Junge in Arvindûras lebte. Ich hoffe ihr mögt es. 🙂
Dûrowinns Finger krallten sich in die Mähne und mit seinen Waden umklammerte er den schweißnassen Leib des Hengstes. Noch zwei Bocksprünge hielt er sich so im Sattel, bevor er unter dem unbändigen Aufbegehren des Tieres letzten Endes den Kürzeren zog. Ein Schütteln noch und ein abprubter Stopp, dann flog er in hohem Bogen von seinem Rücken, prallte auf den Boden und konnte sich grade noch über die Schulter abrollen, um den wild keilenden Hufen zu entgehen, die in elegantem Sprung über ihn hinweg setzten. Die jungen Damen auf der Tribüne der Arena ringum hielten ängstlich den Atem an. Die Stallburschen im Rund sprangen auf die Füße, griffen nach Stricken und Stöcken, um das tobende Pferd wieder einzufangen. Nur der zweite königliche Stallbursche, ein besonnener Mann mit Namen Aswin, schlenderte gemächlich zu dem Prinzen hinüber und reichte ihm eine Hand, um ihm aus dem Staub aufzuhelfen.
Er schaute dabei absichtlich über die Schulter zurück zu dem anderen Jungen, der konzentriert am Rand der Arena unter den Säulen kauerte und die Augen nicht von dem wundervollen Hengst abwenden konnte. Aswin hoffte dadurch, sein Grinsen vor dem Kronprinzen verbergen zu können.
Der Sturz war vorherzusehen gewesen, gleich als sich der junge Mann forsch und tollkühn in den Sattel geschwungen hatte. Ihm das zu sagen, oder es ihn auch nur spüren zu lassen, würde seine Laune aber kaum verbessern.
„Was gibt es da zu lachen?“, fuhr Dûrowinn Aswin dennoch an.
Er zuckte mit den Schultern, setzte zu einer Antwort an, die dem Prinzen wohl keineswegs schmecken würde, doch ließ der hitzköpfige junge Mann ihn nicht zu Wort kommen.
„Der Befehl meines Vaters lautete, dass Ihr mir das beste Pferd von Eurer Reise zu den Gletschern mitbringt, das Ihr finden könnt, und nicht den erstbesten unzähmbaren braunen Teufel, der mir nach dem Leben trachtet!“
Seine Stimme sollte wohl überlegen und abgklärt klingen, während er ein paar Schritte zum Rand der Arena hinkte. Der hochmütige Tonfall erinnerte Aswin aber eher an einen trozigen Jungen, der mit aufgeschlagenen Armen, Knien und angeknackstem Stolz vor ihm stand. Aswin schüttelte den Kopf. Er war sonst ein guter Junge. Doch manchmal hatte er das dringenden Bedürfnis, ihn für solche Bemerkungen wie einen ungezogenen Bengel noch übers Knie zu legen. Aus dem Alter war er längst entwachsen und so mussten es ein paar wohlbedachte Worte tun.
Sein Blick flog zu den Rängen, von wo die tuschelnden Mädchen ihrem Schwarm sorgenvolle Blicke zuwarfen. Aswin hatte schon gewusst, warum er eigentlich darauf bestanden hatte, dem Prinz das neue Pferd heute erst nur unten in den Ställen allein und in aller Ruhe zu zeigen. Doch Dûrowinn hatte in seinem Übermut mal wieder ein Spektakel daraus machen müüssen. Die Blutergüsse geschahen ihm ganz recht.
„Mein Prinz, lasst es jetzt gut sein. Morgen versuchen wir es noch einmal, aber dann mit weniger Druck und mehr gutem Zureden. Ihr werdet sehen, er ist ein feiner Kerl.“
„Gut zureden?! Seid Ihr von Sinnen? Soll ich mich erschlagen lassen? Der muss gleich lernen, wer der Herr ist, sonst …“
Das Gesicht des Prinze war hochrot, vor Zorn und Scham wie Aswin vermutete, und seine Schimpftirade wäre gewiss auch noch weitergegangen, wenn er nicht aus den Augenwinkel etwas bemerkt hätte, was ihn im nächsten Moment schlohweiß werden ließ.
Der jüngere Freund hatte sich aus dem Kreis der Stallburschen gelöst, die respektvollen Abstand zu dem jungen Hengst haltend um diesen herum standen. Ohne Scheu trat er auf das bebende Tier zu. „Fen, nicht!“, schrie Dûrowinnn und schien sein schmerzendes Bein ganz zu vergessen.
Auch Aswin konnte sehen, wie die schmächtige Gestalt sich dem Pferd näherte. Dabei war jeder Muskel unter dem kastanienbraunen Fell zum Zerreißen gespannt, die Augen weit aufgerissen, dass man das Weiße in ihnen sehen konnte, und die Nüstern bis zum Anschlag gebläht. Das Pferd war misstrauisch und ängstlich und im Zweifelsfall zu allem bereit. Dem Jungen hingegen schien jede Angst und auch jede Vernunft zu fehlen.
Er war noch zwei Armlängen von dem Hengst entfernt und streckte behutsam eine Hand nach vorn, unablässig beruhigende Worte vor sich hinmurmelnd. Er blendete dabei alles andere um sich herum aus, überhörte die furchtsamen Zurufe der übrigen Burschen und auch den lauten Befehl des Prinzen, von dem Pferd wegzubleiben. Er bemühte sich, keine hastigen Bewegungen zu machen und seine noch sehr helle Stimme so tief wie möglich klingen zu lassen.
Am Ohrenspiel erkannte Aswin, dass das Tier tatsächlich auf ihn reagierte. Es zögerte, hielt inne in seiner blinden Panik und begann zu überlegen, ob diese Geste tatsächlich freundlich gemeint sein konnte. Schon im nächsten Moment überwog allerdings die Skepsis und Fen musste sich unter fliegenden Vorderhufen hinweg ducken.
Dûrowinn und Aswin hielten dabei den Atem an, konten aber weiter nichts tun, denn in die Nähe des tobenden Pferdes zu gehen, würde den Jungen nur noch mehr in Gefahr bringen.
Es dauerte gut fünf Minuten, bis der Hengst sich wieder beruhigte. Der Prinz und der Stallbursche waren derweil kreidebleich geworden.
„Komm da endlich weg, Fen!“, rief Dûrowinn, als der Hengst schnaubend und nervös scharrend ein wenig Platz gemacht hatte.
Der junge mit dem dunkelblonden Kriegerzopf aber schüttelte abwesend den Kopf, ohne das Tier aus den Augen zu lassen. Seine Stimme blieb weiterhin ruhig und tief, soweit ihm das zumindest möglich war. Mit seiner ganzen Körperhaltung versuchte er dem Pferd zu vermitteln, dass es sich nicht fürchten musste. Aswin schaute fasziniert zu, und als Dûrowinn Anstalten machte, zwischen die anderen Burschen zu treten und Fen zurückzuholen, hielt er ihn am Ärmel zurück, legte den Finger an die Lippen und deutete auf die Szene, die sich nun vor ihnen abspielte.
Der Junge hatte sich erneut dem Pferd bis auf eine Armlänge genähert. Der Hengst stand wie angewurzelt. Schaum bedeckte noch immer seine Flanken und immer noch waren auch seine Nüstern gebläht. Dennoch wölbte er den kräftigen Hals nun der Hand entgegen, die sich ihm hinstreckte.
Dabei wurde Fen nicht ungeduldig, stellte Aswin fest. Als die Nüstern des Pferdes seine Fingerspitzen berührten, hielt er einfach nur ganz still, statt wie so manch anderer zuzugreifen und den Kontakt einzufordern. Nein. Der schmächtige Junge ließ Augenblicke und Augenblicke verstreichen, in denen das Pferd immer wieder bis auf Millimeter an ihn herankam, dann aber skeptisch die Mähne schüttelte und den Hals wieder zurückzog. Nach einer Ewigkeit, wie es den Umstehenden schien, fasste das Pferd schließlich Vertrauen und presste seine Nüstern in die dargebotene Hand.
Spätestens jetzt, so wusste der Stallbursche, machte jeder den Fehler, zu glauben, dass das Tier ihm willig folgen würde. Nicht so der Junge. Zehn weitere Minuten verstrichen, die er dem Hengst erlaubte ihn überall zu beschnuppern. Das Pferd trat auf ihn zu und um ihn herum und er verharrte still, wie festgenagelt. Erst als der Hals sich vertrauensvoll vor ihm senkte, ein Schauer durch die angespannten Muskeln ging und ein langes Schnauben den Nüstern entfuhr, wagte Fen, sich zu regen.
Ganz langsam und behutsam, ohne übereilte Bewegungen zu machen, schnallte er das Seil von seinem Gürtel. Mit ruhigen Worten erklärte er dem Tier, was er zu tun gedachte, und dass er nichts zu fürchten hatte, weil alles gut werden würde. Die kleinen spitzen Ohren drehten sich dabei in seine Richtung.
Dûrowinn blieb der Mund offen stehen, als sein Freund es tatsächlich schaffte, dem Pferd seinen Strick über die zerissenen Zügel zu legen, den Sattel abzuschnallen und ihn ohne Bocksprümge und Auskeilen neben sich her zu ihnen herüber zu führen. Eine Hand hatte er dabei beständig auf dem Nacken liegen und das Tier ließ den Kopf fallen und kaute wohlig.
„Am besten bringst du ihn für heute in den Stall“, meinte Fen nur schlicht, während er Dûrowinn den Strick in die Hand gab.
Für eine Sekunde ging ein Zucken durch das Tier, doch ein sanftes Tätscheln von Fens Händen versöhnte ihn mit der Situation.
„Wie hast du …?“, wollte Dûrowinn wissen, doch dann fiel sein Blick über seine Schulter auf die Zuschauer. Er hatte sich heute genug Blöße gegeben.
Aswin lächelte nur und ließ den Prinzen vorgehen. Er selbst schloss zu Fen auf, der wie üblich stillchweigend hinter dem älteren Freund herging.
„Das hast du sehr gut gemacht“, lobte der Stallbursche den Jungen. „Die meisten meiner Lehrjungen verstehen bis zum Schluss nicht, dass man Geduld haben muss. Sie sehen Sanftmut als Schwäche und mangelndes Durchsetzungsvermögen.“
Fen nickte nur abwesend. Dann plötzlich sah er Aswin allerings an und die blaugrüngrauen Augen des Jungen erschienen dem Mann für einen Moment ein wenig zu strahlend. Irritiert schüttelte er den Kopf während Fen leise erklärte: „Dieses Pferd ist frei geboren worden. Es kannte keine Hand und keinen Strick, bis Ihr ihm einen umgelegt habt. Ein solches Pferd zu führen, ist wie ein freies Volk zu führen. Man muss erst sein Vertrauen erlangen, bevor man es beherrschen kann und es einem folgt. Aber das sollte Dwinn besser wissen als ich.“
Der Stallbursche zog die schwarzen Augenbrauen zusammen.
„Nunja, du kannst dir sicherlich denken, dass sein Vater mich nicht mit dem Gedanken fortschickte, seinem Sohn nur ein schönes Pferd von den westlichen Bergen zu holen.“
„Nein, gewiss nicht. König Melias hat meist einen Grund für sein Tun. Er wollte sicherlich, dass dieses Geschenk für seinen Sohn gleichsam eine Lektion ist.“
„Du bist ein kluger Junge, Fen“, antwortete Aswin und sah die schmale Gestalt neben sich mit forschendem Blick an.
„Bin ich das?“, fragte der nur zurück und wieder war da etwas in seinen Augen, dass Aswin irritierte.
„Naja, vermutlich schon, denn du hast die Lektion bereits gelernt, die unser zukünftiger König vielleicht gerade erst zu begreifen beginnt.“
Als habe Dûrowinn ihre leisen Unterhaltung gehört, drehte er sich auf einmal zu ihnen um und sah den Stallburschen ein wenig reumütig an. Dann fragte er: „Wie heißt er eigentlich?“
Aswin klopfte Fen auf die Schultern und machte zwei schnelle Schritte, um neben den Kronprinz zu gelangen.
„Er heißt Kijanji, euer Hoheit. Der den Wind unter den Hufen trägt.“
Mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern drehte er sich noch einmal zu Fen um und dieser erwiderte beides.
Eine wuner Schöne Geschichte. .:)
Vielen Dank. 🙂