Ein Erfahrungsbericht aus meinem Leben als Mutter.
Ich weiß, dies ist mal ein Artikel der ganz anderen Art, denn er befasst sich so gar nicht mit meinem Autoren-Dasein, sondern mit einer Erfahrung, die ich als junge Mutter gemacht habe. Auch wenn ich selten Persönliches teile, so war doch ein Gespräch, dass sich erst kürzlich ergab, der Auslöser für mich, meine Wut zu einer gewissen Art unter Müttern, andere herabzuwürdigen, in Worte zu fassen.
Gleich vorweg: Es wird keine Diskussion über die Vor- und Nachteile von Stillen vs Flaschennahrung oder die hundert besten Tipps, wie das Stillen doch noch klappt. Dazu finden sich im Internet bereits tausend Einträge in Foren und auf Beratungsseiten und jede Mutter hat ohnehin ihre ganz eigene Meinung dazu. Das ist auch völlig in Ordnung, und selbst wenn ich sehr viele Vorteile im Stillen als optimale Versorgung eines Neugeborenen sehe, und manche Gründe dagegen eher nicht nachvollziehen kann, so stecke ich doch nicht in den Schuhe anderer Mütter. Ich lebe nicht ihr Leben, habe nicht ihre Workload zu bewältigen und somit vielleicht gar nicht alle Faktoren präsent, die für überzeugte Flaschenmamis eben zu dieser Entscheidung führten.
Diese Mamis haben jedoch einen großen Vorteil: Sie haben selbst entschieden. Nach reiflicher Überlegung, anfänglicher Unsicherheit vielleicht, doch sie kamen für sich zu dem Schluss: den besten Start für mich und mein Baby erreiche ich in unserem ganz persönlichen Alltag mit Pre-Nahrung und Flaschenfütterung.
Was aber nun, wenn einem diese essentielle Entscheidung (sonst wäre sie ja nicht so heiß diskutiert) abgenommen wird? Man will Stillen, selbstverständlich, klar. Breast is Best! – Aber man kann nicht …
Liest man sich zu diesem Thema einmal quer durchs Internet, dann landet man immer wieder bei der Aussage: Wer nicht genug Milch hat und nicht ‚stillen kann‘, der macht was falsch. Hier eine Liste mit 12 möglichen Punkten, warum es bei Ihnen nicht klappt. Dort sieben Tipps für eine entspannte Stillbeziehung … Liste über Liste über Liste.
Dies ist der Beginn eines oft lange währenden Leidensdrucks, dem vermutlich viele Mamis ausgesetzt sind. Doch wenig Berichte findet man darüber, weswegen ich mich entschieden habe, diesen hier zu schreiben.
Auslöser war folgende Begegnung: Unser bester Freund und Trauzeuge kam mit seiner Dreieinhalbjährigen aus Berlin für eine Woche auf Besuch. Seine Familie, inklusive seiner Schwester mit Kindern, lebt auch in unserer Gegend, womit natürlich das Mädchen seine Cousins treffen durfte. Eines Abends brachte die Schwester sie nach dem Spielen zu uns nach Hause und traf mich an mit meiner Kleinen (8,5 Monate) auf dem Arm. Man tauschte ein paar Höflichkeiten aus und weil mein Kind an dem Tag wirklich arg an Mama hing, fiel von ihr der Satz: „Na, es geht halt einfach nix über eine Mama.“ Dazu sei zu sagen, dass unser bester Freund von der Mutter seiner Tochter getrennt lebt. Ich antwortete darauf: „Gibt halt solche und solche Tage bei uns“, und es kam zurück: „Aber Papa hat halt keine Milch.“ Daraufhin konnte ich lachend antworten: „Na diese Mama hier hatte auch keine Milch. Das kann also nicht der Grund sein, denn Fläschchen kommt bei uns von Mama und Papa gleicher Maßen.“ Bis dahin Ende der Unterhaltung.
Ein paar Tage später erfuhr ich dann, dass dies zwischen den Geschwister zu einer hitzigen Diskussion geführt hat, denn die Schwester unseres besten Freundes offenbarte ihm einige Tage danach, ohne mein Beisein natürlich: „Die wollte ja gar nicht Stillen, denn nicht können ist ja so selten, das gibt‘s ja gar nicht.“
Mich macht diese Bemerkung WÜTEND. Ja, wirklich WÜTEND. Nicht nur, weil ich Menschen ums Verplatzen nicht haben kann, die über andere reden müssen, ohne diese mit ihren Kritikpunkten direkt zu konfrontieren, sondern auch, weil diese Frau tatsächlich KEINE AHNUNG HAT. Keine Ahnung davon, wie ich lebe, was ich tue, wer ich bin oder welche Entscheidungen ich für mich getroffen habe. Sie hat sich ein Urteil gefällt anhand ihrer eigenen eingefleischten Werte, zu denen neben einem PRO-Stillen auch eine starke Abneigung gegen Impfen gehört, und sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu fragen: „Ja, wie jetzt, du konntest nicht Stillen?“ – Offensichtlich war es ihr aber, als überzeugte Stillmama, ja ein großes Bedürfnis, den Missstand in meiner Kinderaufzucht kundzutun und sich darüber erhaben zu fühlen. (Zum Thema Impfgegner fange ich hier jetzt mal nicht an, denn um diese Diskussion geht es gerade nicht. Es zeigt aber doch, in welchem mentalen Konstrukt man sich bewegt: Natürlich ist gut. Alles was von der Lebensmittel- oder noch schlimmer Pharmaindustrie kommt, ist schlecht.)
Was es mit einer Mutter anrichtet, wenn man einfach so lapidar und nonchalent Dinge kommentiert, über deren nähere Hintergründe man nicht im Bilde ist, davon hat sie allerdings keine Ahnung. Sie hat keine Ahnung von dem nagenden Gefühl, das es in einem hinterlässt, wenn man eigentlich selbst von Anfang an und ohne jede Frage felsenfest überzeugt war: Stillen ist das Beste für mein Kind … und es dann nicht kann. Selbst für mich, die ich mich als eine sehr gefestigte Persönlichkeit bezeichnen würde, war das eine harte Nuss. Und ich mag mir nicht ausmalen, weil manch andere Mamis, die sich nicht trauen, dagegen den Mund aufzumachen, darunter leiden.
Es ist ja auch nicht so, dass das Kind da ist und man weiß sofort: Ach, ok, das mit Stillen wird nix. Also gut, Flasche her. Nein. Es ist ja ein Prozess. Und Anfangs sucht man den Fehler noch bei sich. In den ersten Tagen ist es ja schlichtweg normal, dass man wenig Milch hat. Klar. Darauf haben einen die Hebammen ja vorbereitet. Im übrigen, so ganz am Rande, als Tierärztin mit einer Mutter, die seit über 40 Jahren selbst Hebamme ist, weiß ich das auch so. Der Milcheinschuss kommt halt erst am dritten Tag. … oder dann am vierten … am fünften vielleicht?
Nach einer Woche, die man sein Kind liebevoll 8-12 mal am Tag angelegt hat, es bis zu einer Stunde nuckeln ließ bei brennenden Brustwarzen und immer wieder ermunterte doch noch mal zu probieren, trifft die Erkenntnis einen dann schon sehr hart, wenn erneut die Lippen die Brust loslassen und ein erbärmlicher Hungerschrei das Zimmer erfüllt: Es ist einfach nicht genug da, um dieses kleine Wesen, das völlig von einem abhängig ist, satt zu machen.
Das hat mich damals tief traurig gemacht und ich habe sogar zeitweise gedacht: „Mensch was bist du nur für ne evolutionäre Versagerin? Hundert Jahre früher hätte dein Baby erbärmlich verhungern müssen.“ Es trifft mich übrigens immer noch. Und GENAU DAVON, hat diese Frau, die meint, mich durch ein 60-Sekunden-Gespräch werten zu müssen, KEINE AHNUNG.
Mag sein, dass bei ihr die Milch in Strömen floss. Mag sein, dass sie keine Probleme hatte, die schönste, entspannteste Stillbeziehung aller Zeiten. Mag sein, dass sie glaubt, dass JEDE GUTE MUTTER das zum Ziel haben müsse. Da allerdings irrt sie – und trampelt ganz nebenbei auf den Gefühlen all jener Mamis herum, die wirklich alles für das Stillen getan haben, und dennoch nach langem Kampf zur Flasche greifen.
Gottlob leben wir in einer Zeit, in der wir uns sicher sein können, dass es auch mit Flasche ernährten Babys an nichts fehlt. Die Forschung hat dazu geführt, dass wir eine Riesenauswahl an erschwinglicher, perfekt optimierter Erstlingsmilch auf dem Markt haben. Und auch mit der Flasche lässt sich eine wundervolle und enge Beziehung zwischen Eltern und Baby herstellen. Es ist die Zeit, die wir unseren Kleinen widmen, nicht das Gefäß, aus dem wir sie ernähren, das diese Bindung stark macht. Offensichtlich weiß das aber diese Mama auch nicht. Offensichtlich weiß sie nicht, das genau aus den obengenannten Gründen manche Frauen kaum oder ungern darüber sprechen, dass sei nicht stillen konnten. Das ist ja in Zeiten der Rückbesinnung auf natürliche Wege der Babypflege und Aufzucht verpönt. Da wird man schief angeguckt, und manche unfreiwillige Flaschenmama hat vielleicht sogar wirklich Depressionen dadurch.
An dieser Stelle möchte ich sagen: Die Natur hat sich bei den meisten Dingen etwas gedacht. Bei der Art, wie wir gebären und unsere Kinder auf die Welt kommen. Bei dem Schmerz, dem Stress, dem Trauma, durch das Mutter und Kind müssen und wohl ebenso bei der Versorgung durch die Muttermilch. Natur ist auf Erfolg ausgelegt und die erfolgreichsten Methoden setzen sich durch. Doch Natur ist auch grausam. Wer nicht mithalten kann, wird ausselektiert. Durch Nahrungsknappheit oder Krankheiten. Unsere moderne Welt hat es möglich gemacht, dass wir diesem grausamen Gesetz nicht mehr auf Gedeih und Verderb unterworfen sind. Wir können Babys mit hochwertiger Nahrung zufüttern und gegen tödliche Krankheiten impfen lassen. Das sollten wir als Geschenk sehen und uns nicht kaputt reden lassen aufgrund von an den Haaren herbeigezogener Philosophien, breitgetreten durch Menschen, die weniger reflektiert gerne über andere urteilen.
Ich hoffe und wünsche, dass alle Mamas, die gerne gestillt hätten, aber nicht konnten, weil sie durch Krankheit, Arbeit, Stress oder was auch immer nicht genug Milch hatten, sich etwas besser fühlen, wenn sie das hier lesen. Ihr habt nicht versagt. Ihr habt halt mit den Herausforderungen unserer modernen Zeit zu kämpfen. Unsere moderne Zeit – die aber auch moderne Lösungen bietet.
Mein kleiner Schatz ist trotz Flaschennahrung eines der gesündesten Babys, die meine Mama so kennt (und die hat über 2000 Babys in ihrer bisherigen Karriere begleitet). Erziehung und Ernährung sollten keine Glaubensfragen sein, sondern ein Konsens aus althergebrachter Erfahrung, neuen Lösungen, gesundem Menschenverstand und ganz viel Liebe.
Eure Sylvia
P.S. Das Titelbild wurde gemacht von der wundervollen Sarah Jenak. Ihre Homepage findet ihr hier: https://www.sarahjenak.de/
Ich kommentiere das mal aus dreierlei Perspektiven :der der Oma, der Mutter der Mama und der Hebamme
Der Beitrag erfüllt mich mit Stolz.
Ich erfahre in der Begleitung junger Mütter vielerlei Gründe für oder gegen Stillen, versuche dabei neutral zu beraten und so zu unterstützen, dass es in dem jeweiligen Familienalltag passt.
Ab und zu ist dann auch eine junge Mutter sehr unglücklich, weil sie aus welchen Gründen auch immer nicht stillen kann. Es tut mir dann oft weh, sie weinen zu sehen, wenn sie zur Flasche greift und es braucht viel Zuspruch, ihr zu vermitteln, dass es tatsächlich völlig ok so ist. Dafür gibt es diese prima Flaschenahrung..
Nieman aber darf sich anmaßen, das zu verurteilen oder sich auf die Schultern klopfen, weil sie es ja sooo viel besser macht(weil bei ihr die Voraussetzungen stimmen).
Ich kann nur sagen: Meine Tochter hat für sich den Besten Weg gefunden für ihr Kind, meine niedliche und echt gesundheitlich sehr robuste Enkelin.
Ich wünsche allen Kindern einen so guten Start und so liebevolle Eltern.