Ich mag schon ganz lange mal was zu einem Thema schreiben, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, und heute hat mich eine kontroverse Diskussion mit einem netten Kollegen (Sascha Raubal, Autor von ‚Kurt – in göttlicher Mission‘) dazu beflügelt, es tatsächlich mal zu tun. Vielen Dank dafür. 🙂
Worum es geht? Um sprachliche und stilistische Normen beim Schreiben, um Dinge, wie Perspektive, Zeitenwechsel, Satzbau.
Auch bei meinen Blogtouren bin ich schon über diese Dinge gestolpert. In der ersten zum Beispiel: ‚Wo der Stern von Erui strahlt‚. Da habe ich mit den Bloggern das Konzept verfolgt, meine Welt auf dieselbe kuriose Art für meine Leser erlebbar zu machen, wie es meinen Helden im Sternenlied passiert. Seltsame Dinge geschehen und auf einmal steckten sie mittendrin mit der Frage ‚Wo bin ich überhaupt?‘ und ‚Was mache ich nun?‘
Meine Mitorganisatorin Sabrina von Spread and Read und ich, wir haben uns darauf festgelegt, dass wir im Präsens schreiben wollen. Weil es sich dann wie Tagesberichte liest, so, als wäre man quasi life dabei. Eine der Bloggerinnen hat dennoch konsequent alles in Vergangenheit geschrieben ‚Das habe ich für Berichte in der Schule so gelernt‘, hat sie mir geschrieben und ließ mich zwar die Zeit ändern, es fühlte sich für sie allerdings sehr falsch an (was ich ihr nicht übel nehme, und ich liebe die Beiträge ihrer Seite trotzdem 🙂 ).
Das war einer von vielen Aha-Momenten für mich. Ich habe einen Einblick bekommen, wie festgelegt Sprache doch in den Köpfen vieler ist.
Ich allerdings hatte das Glück, mal einen Deutschlehrer zu haben, der immer wieder betonte, dass es für bestimmte Textarten zwar bestimmte Normen gibt, aber dass man als Schreiber die kreative Freiheit besitzt, aus diesem ganzen unendlichen Fundus zu schöpfen, ihn zu nutzen und zu kombinieren um eben mit jedem einzelnen Absatz eine ganz bestimmte Wirkung zu erreichen. Nebenbei hatte dieser Deutschlehrer auch immer wieder ein paar flapsige Sprüche für uns, weswegen ich ihn zu Schulzeiten beiweitem nicht so zu wertschätzen wusste, wie ich es heute tue. Doch er hat mir, vielleicht ohne es zu ahnen, ein Werkzeug mit an die Hand gegeben, dass ich persönlich nicht missen möchte: Gestalterische Freiheit.
Da wären wir dann auch gleichzeitig beim Stein des Anstoßes. Denn in der (Unterhaltungs)-literatur gelten anscheinend immer noch die strengen Regeln: Springe nicht in deinen Zeiten und Perspektiven. Such dir eine aus für eine Szene aus und bleib dabei. Schreib keine Bandwurmsätze, die sind nämlich ein No No. Das will der moderne Leser nicht. Der moderne Leser will einen Stil, der in den Rezensionen dann als ‚flüssig, angenehm, leicht zu lesen‘ bezeichnet wird.
Was daran verkehrt ist? – Gar nichts! Damit ist alles gut. Wenn man nur den Anspruch hat, eine Geschichte so unkompliziert und ‚barrierefrei‘ wie möglich an den Leser zu bringen. Wenn die Message des Textes in den Worten liegt und nicht dazwischen.
Weswegen ich trotzdem einen ganzen Artikel draus mache? – Weil es soviel mehr gibt! Sprache kann soviel vielfältiger sein!
Ein weiterer Augenöffner war für mich ‚Berlin Alexanderplatz‘. Nein, definitiv keins meiner Lieblingsbücher. Die Geschichte war einfach nicht mein Fall. Die Sprache allerdings schon. Sie hat mich auf den ersten Seiten hoffnungslos überfordert (Ich glaube ich war 17, als ich es für die Schule las). Wörter, Zeiten, Perspektiven prasselten auf mich ein, wie die Eindrücke dieser grellen, lauten Stadt auf den Protagonisten. Die Reizüberflutung, die er erlebte, erlebte ich beim Lesen auch und bekam Kopfweh davon. Was viele glauben, dass es nur in Filmen möglich wäre, kann man auch mit Worten und Sprache. Zumindest kann man es versuchen. Das Äquivalent zu einer Szene beispielsweise, bei der ein schneller Schnittwechsel mich im Film die kurz hintereinander die Blickwinkel aller Beteiligten erleben lässt, den kann ich in einem Roman darstellen, indem ich eben nicht das steife Korselett des ‚Eine-Szene-eine-Perspektive‘-Diktats anziehe, sondern mich in in jedem Absatz, jedem Satz bewusst für eine andere Perspektive entscheide.
Die Vorraussetzung dafür ist, dass ich diese Stilmittel beherrsche. Daran muss man arbeiten und unglaublich oft immer wieder sein eigenes Geschriebenes infrage stellen, kritisch beäugen, schauen, ob es wirkt, wie es wirkt. Und man muss akzeptieren, dass manche es eben nicht wollen, nicht mögen, weil es nicht einfach nur ein flüssiges Dahinplätschern ist, sondern eben eine Herausforderung, auch an den Leser.
Doch warum sollte Fantasy nicht können, was in der Gegenwartsliteratur auch gemacht und bewusst als Stilmittel eingesetzt wird? Warum sollte Fantasy nicht mehr sein, als nur die einfache Message, die sich aus der Aneinanderreihung der einzelnen Wörter ergibt?
Ich habe irgendwann mal irgendwo gehört, dass Hemmingway in seinen Kurzgeschichten manchmal 19 Mal ein Wort änderte, bis er das Richtige gefunden hatte. Wenn ein einzelnes Wort also die Kraft hat, einem Text eine bestimmte Färbung zu geben, wie unendlich groß sind dann die Möglichkeiten, die uns ein ganzer Romane mit oft mehr ein einhunderttausend Wörtern bietet?
Sprache ist wie die Farbe eines Malers. Man kann damit ganz einfach eine Blume auf eine Leinwand bannen, fotorealistisch, so wie die Meister der Renaissance. Doch ändert man die Farben, die Pinselführung, die ganze Betrachtungsweise, dann entstehen neue Stile und unendliche viele Richtungen. Nicht alle sind immer jedermanns Geschmack, aber sie sind in ihrer Vielfalt genauso gerechtfertigt, wie das, was von allen als ‚die Norm‘ angesehen wird.
Viele liebe Grüße,
eure Sylvia