Leseprobe Band II

Cormac blickte auf die Karte, dann mit einem leisen Kopfschütteln zu Callidus. Llewellyn begann innerlich zu kochen. Trotz der Schlacht im Bruch vor vier Wochen, die nicht zuletzt seine Magie zum Guten gewendet hatte, nahm Cormac ihn immer noch nicht für voll. Er sah den Sieg vielmehr als seinen eigenen Verdienst. Nur das Auftauchen seiner Soldaten hatte den hitzköpfigen, starrsinnigen Sohn davor bewahrt, den Tod zu finden. Dabei hatte Llewellyns beherztes Handeln viertausend Flüchtlingen in Kublin den Hals gerettet. Zum Preis von zweihundertfünfzig Soldaten, wie er sich immer wieder anhören musste. Wobei Cormac völlig unerwähnt ließ, dass er und Callidus die Dreihundertschaft, die sie zuvor entsandt hatten, nur allzu leichtfertig geopfert hätten, wenn es den gewünschten Erfolg gebracht hätte.

Obwohl Llewellyn wusste, dass seine Taten ihm nun endlich den Respekt seiner Männer eingebracht hatten, so wusste er dennoch nicht, was er tun musste um die Könige davon zu überzeugen, dass er ein würdiger Träger der Drachenzeichen war.

Für seinen Vater und Callidus waren all seine Ideen und Pläne auch weiterhin kaum mehr als die Spinnereien eines jugendlichen Geistes und jeder Erfolg bei seinen Unterfangen wurde als Glückstreffer abgetan. Ihrer Ansicht nach, wurde der Krieg nicht durch Zauberei und Wissen um irgendwelchen unsichtbaren, magischen Linien gewonnen. Ihrer Meinung nach war er viel zu sehr der Priester und entbehrte jeglicher strategischer und militärischer Ausbildung.

Er wusste nicht mehr, was er noch tun sollte, um ihnen zu beweisen, dass es in diesem Krieg um weit mehr ging, als nur um die Größe der Heere, die sie gegeneinander werfen konnten.

Schon wollte er zu weiteren Erläuterungen ausholen, als die Tür hinter ihm sich öffnete. Zu ihrer aller Überraschung stand Johannes darin. Niemand hatte ihn jetzt schon zurückerwartet. Er deutete eine Verbeugung in Richtung der Könige an und nagelte Llewellyn dann mit seinem Blick fest.

Können wir reden? Es ist dringend …. Majestät?“

Er verneigte sich ein weiteres Mal, doch seine gespannte Haltung machte klar, dass er dem Protokoll nur widerwillig folgte.

Llewellyn sah ihn forschend an. Joes Blick wurde immer eindringlicher. Also entschuldigte er sich und trat zu ihm auf den Flur.

Was gibt es denn so Dringendes?“

Nicht hier. Komm mit.“

Damit eilte Joe ihm voran den Gang hinunter und testete dabei jede der Türen, ob sie verschlossen war. Schließlich schwang eine auf und Joe verschwand im Raum dahinter. Llewellyn folgte ihm schulterzuckend. Joe ließ ihn eintreten, schob die Tür dann ins Schloss und sah ihn erneut mit diesem durchdringenden Blick an. Llewellyn ließ sich davon allerdings nicht einschüchtern. Er wusste zwar nicht, was in Joe gefahren war, doch das hier konnte er so nicht auf sich sitzen lassen.

Ich hoffe, du hast einen sehr guten Grund dafür, dass du hier so eine Welle machst. Ich meine, ist dir eigentlich klar, wie ich dastehe, wenn du so mit mir redest?“

Ach Lew …“

Nicht ‚ach Lew‘! Du weißt, wie wenig sie mir zutrauen. Du weißt, dass ich in ihren Augen nicht der Hohe König bin, den sie sich gewünscht haben. Ich bin zu jung, zu … anders. Die Ratsmitglieder schieben es darauf, dass ich meines Vaters Sohn bin und damit nicht von reinem königlichem Blut, und er schiebt es darauf, dass ich bei den Menschen aufgewachsen bin …“

Jetzt krieg dich mal wieder ein. Dein Vater, Callidus und ihre weißbärtigen Kriegsräte können dir gar nichts. Nach dem, was du im Bruch getan hast, hast du das Vertrauen und die Loyalität der Männer auf deiner Seite, und ich meine nicht nur die Silberreiter damit. Ausnahmslos alle reden davon.“

Llewellyn schluckte die bösen Worte hinunter, die ihm auf der Zunge gelegen hatten. Diese Anerkennung hatte er nicht erwartet. Was er getan hatte, hatte er als seine Pflicht gesehen. Es gab schon genug Opfer in diesem Krieg, ganz ohne, dass sie dem Berg an Toten weitere Unschuldige hinzufügten.

Als Joe fortfuhr kroch der Zorn allerdings gleich wieder in ihm hoch.

Es war dein wohl brillantester Schachzug bisher und ich muss sagen, selbst ich habe dich unterschätzt.“

Schachzug? Was willst du damit andeuten? Glaubst du, ich tue alles nur mit einem bestimmten Hintergedanken? Ich wollte sie retten. Ich wollte verhindern, dass die Meriär Kublin und alle, die darin Schutz gesucht haben, niederbrennen. Sonst nichts.“

Sicher“, lachte Joe kehlig, „Das soll ich dem Mann glauben, der es schafft, Heere von treuen Rittern vergessen zu lassen, für wen sie vor nicht ganz fünf Sommern noch das Banner getragen haben?“

Llewellyn war perplex. Konnte Joe damit das meinen, was er verstand?

Banner … für wen … ich verstehe nicht“, versuchte er Zeit zu schinden.

Oh, ich glaube du verstehst besser, als dir lieb ist. Ich meine, dass da was faul war, das habe ich gemerkt, schon bevor du hier im Norden aufgekreuzt bist. Meinst du, ich habe die Lieder der Barden nicht gehört, die unseren Männern Mut machen sollten? Die meisten scheinen taub zu sein. Ich aber nicht. Ich habe gemerkt, wie sich über Nacht etwas geändert hat. Ich habe gehört, wie sie plötzlich deinen Namen anstatt ihren gesungen haben.“

Du erinnerst dich!“, platzte es unbedacht aus Llewellyn heraus.

Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Wie konnte das sein? Der Zauber war perfekt. Die Geschichten, die die Wahrheit ersetzt hatten, fügten sich so nahtlos in alles, dass er es fast selbst glaubte, wenn nicht seine Klinge ihn tagtäglich daran erinnern würde, was die Konsequenz aus ihrem Bann war.

Warum wirkte es bei Joe nicht? Und warum ließ der ihn das jetzt erst wissen?

Johannes selbst ließ einige Minuten verstreichen und sah bloß zu, wie Lews Gesicht von blass zu grün und wieder zu rot wechselte. Dann, als er sich sicher sein konnte, dass Lew gerade nicht wusste, was er sagen oder denken sollte, erwiderte er:

Du hast also tatsächlich damit zu tun.“

Llewellyn schluckte.

Lass mich raten. Die Idee kam von dieser Nebelhexe Gwendolyn. Sie und ihre drei Schoßhündchen haben irgendeinen dunklen Zauber gewirkt damit sich alles ändert und keiner sich mehr an die Wahrheit erinnert? Ich verstehe nur nicht warum. Was hat sie euch getan? Womit hat sie das verdient?“

Für einen Moment zog Llewellyn es in Erwägung, Johannes ins Vertrauen zu ziehen. Welche andere Ausrede konnte er ihm auftischen als die Wahrheit? Wenn er die alten Lieder hörte, würde er nicht anders als verstehen können, dass ihm letztlich keine Wahl geblieben war. Er musste es einfach verstehen!

Lew setzte zu einer Erklärung an, suchte noch nach den richtigen Worten, um das Ungeheuerliche auch für Joe begreiflich zu machen, da fiel der ihm ins Wort.

Nichts! Das ist so typisch für dich. Immer eine große Klappe, doch wenn man dich dann dabei erwischt, dass du Mist baust, bist du plötzlich ganz still.

Weißt du, vielleicht wäre es mir ja egal. Vielleicht würde ich ja einfach die Klappe halten und es akzeptieren. Ich meine, ist ja nicht das Schlechteste für mich, dass der einzig wahre Hochkönig mein bester Freund ist. Der Punkt ist nur“, er holte tief Luft, „der Punkt ist, ich kann das nicht. Ich kann nicht einfach so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Nicht solange ich nicht weiß, was mit ihr ist. Wie könnte ich so tun, als hätte ich sie vergessen, wenn mein Herz zu jeder Stunde an sie denken muss? Fragst du dich nicht, wohin sie gegangen ist und warum? Suchst du nicht nach einem Weg, sie wiederzufinden, sie zurückzuholen? Sie kann dir doch nicht so gleichgültig sein? Ich meine, verdammt! Genießt du es am Ende, der kühne Held zu sein?! Findest du es toll, ihren Ruhm auf deine Fahnen zu schreiben und so zu tun, als ob du hier schon immer der Obermacker gewesen wärst?! Du weißt die Sache hat einen Haken. Dein Vater und die Könige vertrauen dir trotz allem nicht und glaube mir, das liegt daran, weil ihre Herzen den Betrug spüren.

Für dich mag sie ja nur das Mädchen gewesen sein, das dich nicht mehr wollte, aber für mich, für mich ist sie die Frau, die ich immer lieben werde.“

‚Für mich doch auch‘, wollte Llewellyn sagen, doch er schluckte es herunter. Sowie er auch jede Erklärung herunterschluckte, die er sich im Kopf zurechtgelegt hatte. Joes letzte Worte hatten vermutlich den Grund offenbart, warum der Zauber bei ihm nicht wirkte. Eine so tief empfundene Zuneigung, die konnte kein noch so starker Zauber einfach wegwischen.

Genau darum konnte er ihm aber auch nicht anvertrauen, was in jener Nacht geschehen war, als die alten Steine gesungen hatten. Joe würde es nicht sehen. Er würde es nicht glauben wollen. Er würde hoffen, so wie er selbst zu Anfang noch gehofft hatte. Er würde nicht zulassen, dass Lew sein Schwert gegen sie ziehen konnte, und im entscheidenden Augenblick würde er sich zwischen sie werfen.

Joe, ich verstehe dich und ich verstehe deinen Zorn“, versuchte er ihn zu beschwichtigen, „aber ich kann dir keine Antwort geben. Ich kann dir nur sagen, dass ich diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen habe. Es geht auch nicht um Ruhm oder Heldentaten. Was ich tat, habe ich für Erui getan, nicht für mich. Das musst du mir glauben.“

Muss ich das?“

Wut schillerte in Joes Augen. Llewellyn schrak einen Augenblick lang zurück. Dann aber erwachte in ihm der Trotz und erneut der Zorn darüber, dass Joe ihn so herablassend behandelte.

Ja, das musst du. Und jetzt ist das Gespräch hier beendet. Es wird weiter zu nichts führen und wir haben einen Krieg zu gewinnen.“

Er drehte sich zur Tür und nahm die Klinke in die Hand. Ein dumpfer Schmerz breitete sich da plötzlich von seinem linken Wangenknochen in seinem ganzen Gesicht aus. Joes Schlag ließ ihn einen kurzen Augenblick taumeln. Er fasste sich allerdings schnell wieder und sah den Freund mit ungläubigem Blick an.

Wage es nie wieder, mich wie einen Dienstboten einfach wegschicken zu wollen“, flüsterte der. Du eröffnest mir, dass es einen guten Grund gab, warum du und die Wächter eine ganze Welt habt vergessen lassen, dass sie einmal eine wundervolle Königin hatte, und verlangst allen Ernstes, dass ich das ohne Erklärung einfach so schlucke?

Du magst dich in den letzten Wochen gut geschlagen haben. So gut, dass die Soldaten voll Hochachtung und Ehrfurcht zu dir aufblicken. Doch glaube nicht, dass sie dir folgen würden, wenn ich ihnen erzähle, dass ihr König ein Hochstapler und Betrüger ist. Der Name Johannes von Erui hat Gewicht in den Ohren deiner Männer.“

Llewellyn riss die Augen auf. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Joe damit Recht hatte. Sie würden ihren ersten Ritter jederzeit ihrem König vorziehen. Dafür hatte Joe sich einfach einen zu guten Namen gemacht.

Das würdest du nicht wagen“, flüsterte er.

Wenn du mich weiterhin belügst und mir die Wahrheit vorenthältst, dann wirst du wohl sehr bald herausfinden, ob ich das würde.“

Drohst du mir grade?“

Kann man so nennen.“

Eine Pause entstand in der jeder den anderen taxierte. Bis vor einer Minute waren sie Freunde gewesen. Jetzt kam es Llewellyn vor, als ob er den Mann vor sich kaum noch kennen würde. Er rieb sich über die Wange. Er spürte bereits, wie sie anschwoll. Er schloss die Augen. Es gab nur einen Weg, wie er aus dieser Sache hier raus kommen konnte, ohne noch mehr Schaden anzurichten.

Er fühlte das Schwert an seinem Gürtel brennen. Er dachte an die Last, die auf seinen Schultern immer erdrückender schien und die er nur zu gern geteilt hätte. Ebenso musste er aber auch an die Männer und Frauen und Kinder denken, deren Leichen sich mit jedem Tag in größerer Zahl in den Dörfern stapelten.

Er war die Ungewissheit leid, was als Nächstes geschehen mochte. Er war den Geruch von brennendem Fleisch leid. Er konnte die gebrochenen Augen nicht mehr ertragen. Wenn es das Werk der Schattenkönigin war, dann würde er sie vernichten. Doch Joe konnte das niemals verstehen.

Es tut mir leid, wenn du so denkst, Joe. Ich wäre willens gewesen dir zu vertrauen. Ich bin es immer noch. Doch das hier kann ich nicht ohne Konsequenzen lassen.“

Er zog die Tür auf.

Wachen!“, ließ er seine Stimme über den Gang hallen.

Joe sah ihn mit ungläubigem Blick an.

Ich werde dich wegen Aufbegehren gegen die Hohe Krone deines Ranges entheben lassen. Du wirst nicht länger der Marschall an meiner Seite und der Hauptmann meiner Armeen sein. Ich verbanne dich hiermit und du tust besser daran, wenn wir uns nie wieder über den Weg laufen.“

Bist du noch ganz bei Trost?“, fragte Joe, doch hörte er auf dem Gang bereits schwere Stiefel, die sich eilig näherten.

Was ist in dich gefahren? Welchen Floh hat Gwendolyn dir bitte ins Ohr gesetzt, dass …?“

Weiter kam er nicht. Die Tür wurde aufgestoßen. Vier seiner eigenen Männer traten ein. Sie stutzten, blickten völlig perplex von ihrem Marschall zu ihrem Hochkönig und wieder zurück. Sie bemerkten die blutunterlaufene Wange Llewellyns und auf seinen Wink traten sie zu Joe, wagten aber nicht etwas zu tun. Der Blick des Kommandanten glitt unsicher zu Llewellyn zurück.

Bringt ihn zu seinen Räumlichkeiten. Er hat eine Stunde Zeit zu packen. Danach ist es ihm bei Höchststrafe verboten, sich je wieder in meiner Nähe, in meinem Schloss oder gar in den Landen der Hohen Krone aufzuhalten.“

        Foto Joe älter  Fahndungsbild Martin

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